Was ist einfacher, die vorgefertigten Zeichnungen eines Malbuchs auszufüllen, oder das Bild aus eigener Leistung von Grund auf selbst zu erstellen? Natürlich der erstere Weg. Gerade als Anfänger gelangen wir auf diese Weise schneller zu einem ansehnlichem Ergebnis, sind jedoch auch in unserer Kreativität beschränkt.
Malbücher in Form von FX-Presets, Expertentips aus Zeitschriften und visuellen Reizen der Plugins existieren ebenfalls in der Tontechnik. Anstatt unseren Forscher- und Entdeckungsdrang auszuleben und vielleicht etwas Neues zu wagen, greifen wir gern zu diesen vorgegebenen Fertigpackungen, die selten eine optimale Lösung des Problems ergeben.
Das geht ins Auge
Wissenschaftlich gesehen erfährt der Mensch etwa 83 Prozent aller Reize über die Augen und lediglich 11 % über die Ohren. Oder anders gesagt, als „Augentier“ lassen wir uns beim Mischen gerne von visuellen Reizen jeglicher Art ablenken: ein lustig fubbelnder Analyzer, ein gut aussehendes Plugin oder sogar der Preis auf dem Etikett beeinflusst unsere Meinung über Klang und Qualität. Dazu ein einfacher Selbsttest: Welches der beiden folgenden Plugins klingt vermutlich besser?
Nach dem Motto „was gut aussieht, klingt bestimmt auch gut“, entscheiden sich die meisten für das Plugin mit den bunten Drehknöpfen und dem hübsch anzuschauenden EQ-Verlauf. Dabei verbirgt sich hinter dem rechten Bild lediglich eine andere Oberfläche für das selbe Tool.
Diese Begebenheit beobachte ich regelmäßig in den Mischungen meiner Studenten: unabhängig von ihren tatsächlichen Klangeigenschaften finden die „hässlichen“ Plugins viel weniger Anwendung als die hübschen. Absolute Favoriten sind teure Markenhersteller und Tools mit viel blinkendem und animiertem Beiwerk.
Optik und Preis besagen nichts über die Qualität von Hard- und Software
Ohren auf!
Eine weitere Auffälligkeit bei der Arbeit am Sequenzer ist der konstante, nahezu hypnotische Blick auf den Bildschirm. Hier wird eindeutig nicht mit den Ohren, sondern mit den Augen abgemischt. Was dabei aus den Lautsprechern plärrt ist erst einmal nebensächlich, Hauptsache die Filterkurve wird allen optisch-ästhetischen Ansprüchen gerecht …
Schließen wir hingegen die Augen, schärfen wir unsere verbleibenden Sinne. Feine Änderungen in Pegel und Klang treten deutlich stärker hervor und wir konzentrieren uns auf das wichtigste einer Audioproduktion, die Musik an sich. Bevor DAWs die Tonstudios eroberten, war eine Studioregie eine nahezu visuell ablenkungsfreie Arbeitsumgebung und vielleicht sollten wir diesen Zustand auch heute wieder einführen. Wer seine Effektgeräte blind einstellt, dem sind absolute Werte egal. Wenn’s klingt, dann klingt’s, auch wenn der Experte aus der Fachzeitschrift ganz andere Einstellungen verwendet hat.
Augen zu und Ohren auf, Effekte müssen niemals auf die Nachkommastelle genau eingestellt werden.
It’s Preset Time
Wie macht man als Hersteller von Audiosoftware sein Produkt besonders für Anfänger attraktiv? Neben einer Optik und Benennung die an eine angeblich unglaublich tolle Studiohardware erinnert natürlich mit jeder Menge Presets. Diese „Voreinstellungen“ mit wohlklingenden Namen wie „Rock Vocals“, „Fat Bass“ oder „Pop Mastering“ sollen den Input mit wenigen Klicks auf ein neues Klangniveau heben.
Die Idee dahinter ist auf den ersten Blick genial, schließlich müssen wir damit nicht mehr selbst hören und überlegen was wir dem Instrument gutes tun können, sondern einfach nur ein paar hundert Vorlagen ausprobieren, bis eine davon passt.
Dies kann mit Glück und Zufall tatsächlich funktionieren, meistens ist das Ergebnis jedoch Suboptimal und wir lassen uns lediglich durch den spontanen Klangunterschied täuschen – ein paar dB Lautheitsänderung reicht bereits aus. Audiosignale sind leider viel zu individuell um sich an fixe Vorgaben zu halten.
Wenn überhaupt, sollte ein Preset nur eine grobe Ausgangsbasis sein, die wir nach persönlichem Geschmack und Wissen für den jeweiligen Einsatzzweck abändern.
1.000 E-Gitarren benötigen 1.000 Presets
Die Moral von der Geschichte
Nicht alle technischen Errungenschaften und Hilfsmittel sind tatsächlich so vorteilhaft wie sie erscheinen. Gerade für Anfänger ist der harte, steinige Weg der bessere, bei dem wir uns auf die Grundlagen zurück besinnen und durch eigene Experimente auf die Lösung kommen. Für alles andere ist später immer noch Zeit, wenn man gelernt hat primär auf seine Ohren und Erfahrung zu vertrauen.