Lerne etwas anderes

Was macht man in den Arbeitspausen? Man sinniert über das Leben, den Job und die ganze Event- und Medienbranche. Ach ja uns geht’s so schlecht, hätten wir nur was anderes gelernt und seit Jahren wird es immer schlimmer … aber irgendwie freut man sich dann doch auf den nächsten Tag und dass man genau diesen Beruf ergriffen hat.

Damit du uns nicht vorwerfen kannst wir hätten dich nie gewarnt, hier ein paar Gründe warum Tontechnik alles, nur nicht der ideale Job für dich ist.

Fakt 1 – Du bist überqualifiziert

In den meisten Bereichen der Branche braucht man keine kreativen Menschen mit absolutem Gehör, die Partituren querlesen oder fähig sind, selbst einen A/D Wandler zusammenzulöten. Viel mehr sind Muskelkraft, Durchhaltewille und sichere Bedienung der technischen Geräte gefordert. Ob Diplomingenieur von der Uni oder Autodidakt, fürs Boxen aufbauen und Mischen bekommt jeder den gleichen Lohn.

Fakt 2 – Keiner sucht dich

Eigentlich heißt es ja immer „wer sucht, der findet“, aber wenn uns tatsächlich niemand benötigt? Ein Blick in die Tageszeitung offenbart: Deutschland braucht Handwerker, Fernfahrer, Ärzte, Facharbeiter und IT-Techniker, aber nicht noch mehr Webdesigner, Medienkaufleute oder gar Tontechniker. Die wenigen Stellenanzeigen in diesem Bereich sind meistens für unbezahlte Praktika oder den DJ und Animateur im Ferienclub …

Fakt 3 – Vitamin B ist Pflicht

Viele Jobs werden, selbst wenn offiziell ausgeschrieben, direkt oder unter der Hand vergeben, weil der Chef jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, dessen Spezi´s Kumpel unglaublich gut dafür geeignet ist. Entweder man hat also Glück und ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort, oder man dient in jahrelangen Praktika in der Hoffnung, irgendwann auch ein Auserwählter zu werden.

Fakt 4 – Tontechnik ist nicht wie Döner

Dönerbuden gibt es an jeder Ecke, die meisten Menschen gehen zum Friseur und ist der Abfluss verstopft, rufen wir den Klempner. Dass hingegen morgens jemand aufwacht und spontan beschließt, ein paar Stunden im Tonstudio zu verbringen oder seine nächste Gartenparty professionell beschallen zu lassen, ist hingegen äußerst unwahrscheinlich.

Fakt 5 – Der Markt ist gesättigt

Der Audiobereich ist ein sehr spezieller und kleiner Markt, in dem mittlerweile alle erdenklichen Nischen belegt sind. Die Idee vom „eigenen Tonstudio oder Technik-Verleih“ ist wenig empfehlenswert, denn um an Kunden zu gelangen, müssen wir sie erst der alteingesessenen Konkurrenz entreißen.

Fakt 6 – Der Nächste bitte

Nehmen wir an, ein Arbeitsleben dauert 40 Jahre, dann geht es in den Ruhestand und die Stelle wird für den Nachwuchs frei. Dies macht umgerechnet 1/40 benötigter Tontechniker pro Jahr. Gehen wir von blind geschätzten 1.200 professionellen Tonstudios und anderen Tonbetrieben in Deutschland aus, kommen wir somit jährlich auf gerade einmal 30 frei werdende Arbeitsplätze, außer der Techniker verschwindet oder stirbt durch erklärbare Umstände …

Fakt 7 – Überbevölkerung

Um diese 30 Arbeitsplätze prügeln sich dann die Absolventen der SET, SfT, SAE, Deutsche POP, Audiocation, SRT, Eventakademie, MSG, Hochschule Detmold, … und und und. Wenn jede dieser Bildungseinrichtungen pro Semester 20 Absolventen auf den Markt wirft, kommen wir schnell auf mehrere hundert Tontechniker pro Jahr. Nur wer braucht die alle? In der Eventbranche bestehen sogar jedes Jahr über 6.000 junge Menschen ihren Abschluss zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik, weit mehr als es Veranstaltungen gibt.

Berechnung

  • Laut deutschem Bühnenverein gibt es zirka 850 Theater- und Orchesterbetriebe in Deutschland. Wenn überhaupt brauchen die nicht mehr als einen richtigen Techniker: macht grob 22 benötigte Techniker im Jahr.
  • 300 Radio- und Fernsehsender buhlen um die Gunst der Konsumenten. Wenn davon jeder 3 angestellte Tonmenschen für den Studiobetrieb hat kommen wir auf 22 Techniker im Jahr.
  • Ein Blick in Google Maps offenbart 7.000 Tonstudios allein in Deutschland. Auch wenn man in den meisten davon „irgendwie“ aufnehmen kann … nur ein Bruchteil kann sich „professionell“ nennen. Lassen wir es einmal 1.200 Studios sein, dann werden 30 Nachwuchsingenieure pro Jahr gesucht, die Bands und Hörbücher aufnehmen oder Werbespots schneiden.
  • Dann gäbe es da noch den Filmbereich. Hier wird meist eh schon wenig Wert auf guten Ton gelegt. Jeder, der eine Angel halten und einen Mixer bedienen kann, darf arbeiten. Lass es meinetwegen 1.000 Stellen sein, die es bei Produktion und im EB-Bereich gibt. Wieder 25 Techniker mehr.
  • Natürlich sei auch der Ausbildungssektor nicht vergessen. Viele Schulen, viel Bedarf an Dozenten und Betreuungspersonal. 20 Bildungseinrichtungen brauchen jeweils 10 Mitarbeiter und generieren somit insgesamt 5 neue Jobs im Jahr.
  • Wäre zuletzt noch die Veranstaltungsbranche. Diese ziehen in Ausbildungsbetrieben eigene „Fachkräfte für Veranstaltungstechnik“ groß und brauchen selten externe Techniker. Daher vernachlässige ich diesen Sektor ganz.

Zählen wir zusammen braucht Deutschland gerade mal 99 neue Tontechniker im Jahr. Und auch wenn in Realität die Zahlen bestimmt etwas anders sind, wird die eigentliche Problematik deutlich… niemand braucht Tontechniker.

Fakt 8 – Bin ich günstig rangekommen

Eine folgenschwere Konsequenz aus Fakt 7 ist ein seit Jahren stagnierendes Lohnniveau mit der Tendenz zum Preisverfall. Warum den 50 jährigen Familienvater mit langer Berufserfahrung beschäftigen, wenn es der Nachwuchstechniker oder Garagenverleiher für die Hälfte vom Preis macht? Auftraggeber schauen leider oft auf das günstigste Angebot und weniger auf die Qualität, zudem lässt sich nirgends so gut sparen wie bei den Löhnen der Dienstleister.

Beispiele

Fazit

Bevor man sich für eine Karriere im Ton- oder Veranstaltungsbusiness entscheidet, sollte man sehr genau überlegen und die Alternativen prüfen.

Die Gehälter sind auf eher niedrigen Niveau, die Arbeit oft unangenehm lang und körperlich anstrengend, gute Aufträge selten und selbst wenn man sie endlich hat, kann man übermorgen durch eine jüngere und deutlich günstigere Arbeitskraft ersetzt werden.

Der Traum vom tollen Job in den Medien ist überwiegend nur ein Mythos, eine Erfindung von Hochglanzmagazinen. Die Ausbildungsbranche hat in den letzten Jahren deutlich mehr Techniker auf den Markt gebracht als jemals benötigt werden. Zudem erreicht der Stellenwert der Branche lang nicht die Reputation alteingesessener Berufe und Kunden nutzen die aktuelle Situation durch gegenseitiges Ausspielen von Auftragnehmern gezielt aus. Wie gesagt, behaupte nicht wir hätten dich nicht gewarnt … wobei riskiere es 🙂

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