Niere, Kugel oder Acht gehören zu den grundlegenden Eigenschaften eines jeden Mikrofons. Die sogenannte Richtcharakteristik oder im englischen „polar pattern“ gibt Auskunft über die Empfindlichkeit in Abhängigkeit der eintreffenden Schallrichtung und damit auch, welche Anwendung besonderes gut oder besonders schlecht umgesetzt werden kann.
Polardiagramme
Um das Verhältnis von Einfallwinkel und Empfindlichkeit grafisch darzustellen, kommen zweidimensionale Polardiagramme zum Einsatz. In der Mitte befindet sich die Kapsel des Mikrofon als „Pol“ und zeitgleich die unempfindlichste Stelle. Der äußerste Kreis mit 0 dB markiert den Bereich der optimale Schallaufnahme.
Zeichnet ein Mikrofon den Schall von allen Seiten gleich gut auf, entsteht das Bild eines Kreises, oder dreidimensional gedacht das einer Kugel. Die Messkurve verläuft konstant auf dem äußersten Kreis mit Null Dezibel.
Gerichtete Mikrofone wie die Niere brechen hingegen zu den Seiten und vor allem im hinteren Bereich stark ein, die Dämpfung auf der Rückseite ist bei 180° nahezu vollkommen. Umgekehrt gedacht, zielen wir für das beste Ergebnis „On-Axis“ in Null Grad Einsprechrichtung auf die gewünschte Schallquelle.
- Klangverhalten der verschiedenen Charakteristiken an einem umschaltbaren AKG C141
- Shure erklärt die einzelnen Charakteristiken
Frequenzabhängigkeit
Ist die Kennlinie im Diagramm nicht näher spezifiziert, zeigt sie üblicherweise den Verlauf für 1 kHz. Andere Frequenzen weichen oft von diesem „Ideal“ ab und besitzen ihre eigene Form, die ebenfalls von Mikrofon zu Mikrofon variiert.
Die Charakteristik ist keine Scheibe
Um weitere Verirrung zu stiften, ist die Richtcharakteristik nicht flach, sondern erstreckt sich dreidimensional in den Raum hinaus. In der praktischen Anwendung spielt damit auch das Oben und Unten eine wichtige Rolle, etwa unerwünschte Reflexionen vom Boden.
Kugel
Die Kugel (englisch: omnidirectional) bildet zumindest aus technischer Sicht den „Idealzustand“ eines Schallwandlers. Unabhängig von Richtung und Frequenz wird das eintreffende Signal stets gleich laut und unverfälscht aufgefangen. Dies führt zu einer besonders natürlichen Abbildung der gewünschten Schallquelle, inkludiert aber auch ungedämpft alle vorhandenen Nebengeräusche und Reflexionen.
Optimale Anwendung: Am Headset oder Ansteckmikrofon, natürliche Instrumentalaufnahmen mit Raumanteil, Sprachaufnahmen in ruhiger Umgebung mit mehreren Personen
Nachteile: Die Kugel ist deutlich anfälliger für Feedback als alle anderen Charakteristiken und bietet keinerlei „Signaltrennung“ zwischen gewollten und unerwünschten Audioquellen.
Niere
Mikrofone mit Nierencharakteristik (englisch: cardioid) sind dank ihrer praktischen Eigenschaften für nahezu alle Anwendungen optimal aufgestellt. Auf das Objekt der Begierde gerichtet, wird dieses „on-axis“ von vorne ohne Pegelverlust und Klangverfärbungen aufgezeichnet. Seitlich eintreffende Signale, etwa Reflexionen oder andere Instrumente werden hingegen zunehmend leiser erfasst und rückwärtiger Schall nahezu vollständig ausgelöscht. Dies macht die Niere besonders Pegelfest und unempfindlich gegenüber Feedback. Der zwangsweise vorhandene Nahbesprechungseffekt kann je nach Situation also Vor- oder Nachteil agieren.
Optimale Anwendung: Live für geringes Übersprechen und Feedback, trockene Instrumentalaufnahmen, Sprache und Gesang.
Nachteile: Das Mikrofon muss auf die gewünschte Klangquellen zielen. Liegen diese außerhalb des idealen Einfallwinkels sind klangliche Verfärbungen und verringerte Pegel möglich.
Acht
Eine eher für spezielle Gelegenheiten geeignete Richtcharakteristik ist die Acht (englisch: figure eight oder bi-directional). Diese glänzt durch eine besonders gute Dämpfung bei seitlichen eintreffenden Signalen, während frontaler sowie rückwärtiger Schall unbeeinflusst bleibt.
In der Praxis nutzen wir die Acht bei Stereo-Aufnahmeverfahren wie Blumlein und MS oder wenn mit einem Mikrofon zwei sich gegenüber befindende Personen aufgezeichnet werden sollen. Bändchenmikrofone bilden technisch beding immer immer eine Acht.
Anwendung: Stereo-Aufnahmen, Reportagen, Gesangsduo, spezielle Situationen in denen eine starke Dämpfung bei 0° benötigt wird.
Super- und Hyperniere
Als Variation der normalen Niere finden wir diese auch mit einer verstärkten Richtwirkung in Form der Super- und Hypernieren. Seitlich einfallender Schall wird hier noch besser gedämpft, jedoch auf Kosten einer zeitgleich gesteigerten rückwärtigen Empfindlichkeit.
Anwendung: Als Alternative zu normalen Nieren zur gezielte Nutzung der seitlichen Dämpfung.
Keule
Mikrofone mit Keulencharakteristik sind vor allem beim Film und Fernsehen beliebt, wenn Sprache unter akustisch schwierigen Umständen oder aus größerer Entfernung aufgezeichnet werden muss.
Die auch als Richtrohr- oder Interferenz-Mikrofone bekannten Geräte verwenden hierfür einen sehr stark nach vorne und hinten ausgeprägten Empfindlichkeitsverlauf. Damit lässt sich Klangquellen zwar nicht wie bei einem Zoomobjektiv näher heran holen, jedoch alles Ungewollte gut ausblenden. Durch den sehr schmalen Erfassungsbereich ist stets ein gutes Zielvermögen notwendig.
Anwendung: Kameramikrofone, an der Tonangel.
Aufnahmewinkel
Um Klangverfärbungen vorzubeugen, richten wir Mikrofone möglichst direkt auf die Signalquelle. Der tatsächlich nutzbare Bereich variiert dabei zwischen etwa 90° bei einer Acht und 130° bei einer Niere. Technisch gesehen ist dies der Bereich, bevor das Signal entgegen dem Optimum um 3 dB abgeschwächt wird.
Off-Axis nutzen
Die Stellen der maximalen Dämpfung können wir in der Praxis vielfältig nutzen, etwa live auf der Bühne, um mögliches Feedback der Monitorlautsprecher zu verringern.
Möchte der Sänger seinen Lautsprecher direkt vor sich, setzen wir eine Niere mit rückwärtiger Dämpfung ein, bei zwei seitlich versetzen Boxen ist hingegen eine Super- oder Hyperniere die geeignete Wahl.
Das selbe Prinzip können wir ebenfalls bei möglichem Übersprechen anderer Instrumente nutzen. Die Frage ob Super-, Hyper- oder normale Niere bestimmt damit nicht immer das aufzunehmende Instrument, sondern manchmal auch das umgebende Setup.
Kugel | Niere | Superniere | Hyperniere | Acht | |
Abdeckung | 360° | 131° | 115° | 105° | 90° |
Maximale Dämpfung | – | 180° | 126° | 110° | 90° |
Raumanteil | 100% | 33% | 27% | 25% | 33% |